Vermögensnachfolge - Testamentsarten

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Berliner Testamente

1.1

Exkurs zum Pflichtteilsrecht (§§ 2303 ff. BGB)

1.1.1

Zivilrecht

Der Pflichtteil entsteht mit dem Erbfall, wenn der Erblasser seine pflichtteilsberechtigten Angehörigen von der Erbfolge ausschließt (§ 2317 Abs. 1 BGB).
Der Pflichtteilsanspruch entspricht der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils (§§ 2303 Abs. 1, S. 2, 2310 BGB). Er ist ein Geldanspruch und grundsätzlich sofort fällig (Ausnahme: gesetzliche Stundung gem. § 2331 a BGB). Der Pflichtteil verjährt in 3 Jahren ab der Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten vom Erbfall.

Neben dem (ordentlichen) Pflichtteilsanspruch (§ 2310 BGB) können noch

  • Ansprüche auf den Zusatzpflichtteil (§ 2305 BGB) und
  • Ansprüche auf Pflichtteilsergänzung (§§ 2325, 2329 BGB
    bestehen.

Ansprüche auf einen Zusatzpflichtteil bestehen, wenn dem Pflichtteilsberechtigten ein Erbteil hinterlassen wurde, der kleiner ist, als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Die Differenz entspricht dem Anspruch auf den Zusatzpflichtteil.

Ansprüche auf Pflichtteilsergänzung bestehen dann, wenn der Erblasser Schenkungen an Dritten innerhalb von 10 Jahren vor seinem Ableben getätigt hat. Der Pflichtteilsberechtigte kann als Ergänzung zu seinem Pflichtteil den Betrag verlangen, um die sich der Pflichtteil erhöht, wenn die Schenkung/die Schenkungen dem Nachlass hinzugerechnet wird. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch verringert sich um je 1/10 für jedes volles Jahr, das zwischen der Schenkung und dem Erbfall liegt (Grüneberg/Weidlich, aaO, § 2325, Rn. 24). Die 10-Jahres-Frist beginnt mit der wirtschaftlichen Ausgliederung aus seinem Vermögen, also mit dem rechtlichen Vollzug der Schenkung. Verbleibt der Nutzungswert des Gegenstandes der Schenkung beim Erblasser, beginnt die 10-Jahres-Frist erst bei dem Wegfall des Nutzungsrechts. Wird z.B. ein Gegenstand unter dem Vorbehalt des Nießbrauches verschenkt, bleibt der Nutzungswert des verschenkten Gegenstandes beim Schenker und die 10-Jahres-Frist beginnt erst mit dem Ende des Nießbrauches.

Eine weitere Ausnahme gilt bei Schenkungen an den Ehegatten. In diesem Fall beginnt die 10-Jahres-Frist erst mit der Auflösung der Ehe (§ 2325, Abs. 3, S. 3 BGB).

Pflichtteilsberechtigte sind:

  • die Abkömmlinge des Erblassers.
    Abkömmlinge des Erblassers sind die Personen, die mit dem Erblasser in gerader, absteigender Linie verwandt sind, also Kinder, Enkel, Urenkel (§ 1589, S.1 BGB
  • Ehegatten und Eltern (§ 2303 Abs. 2, S.1 BGB), wenn sie durch eine Verfügung von Todes wegen von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen sind.

Entferntere Abkömmlinge und die Eltern sind nicht pflichtteilsberechtigt, wenn ein Abkömmling, der sie im Falle der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde, den Pflichtteil verlangen kann oder das ihm Hinterlassene annimmt (§ 2309 BGB).

Ehegatteten leben in der Regel im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft, vereinzelt im Güterstand der Gütertrennung und ganz selten im Güterstand der Gütergemeinschaft. Zum Einfluss des ehelichen Güterrechts auf den gesetzlichen Erbteil des Ehegatten im Güterstand der Zugewinngemeinschaft s.  Teil B, Ziff II.

1.1.2

Steuerrecht

Zivilrechtlich entsteht ein Pflichtteilsanspruch mit dem Erbfall (§ 2317 Abs. 1 BGB) und ist sofort fällig.

Steuerrechtlich ist dies völlig anders. Steuerrechtlich entsteht die Erbschaftsteuer auf den Pflichtteilsanspruch erst, wenn der Pflichtteilsberechtigte seinen Anspruch auf den Pflichtteil ernsthaft gegenüber dem Erben geltend macht (§ 9 Abs. 1, Nr. 1 b ErbStG).

Hat der Berechtigte seinen Pflichtteilsanspruch ernsthaft geltend gemacht, kann der Erbe als Pflichtteilsschuldner den geltend gemachten Anspruch vom Nachlass des Erblassers abziehen (§ 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG).

Ist der überlebende Ehegatte ebenfalls verstorben und haben Pflichtteilsberechtigte ihre Pflichtteilansprüche gegen den überlebenden Ehegatten nicht geltend gemacht, können die Pflichtteilsberechtigten ihren Pflichtteilsanspruch steuerrechtlich noch gegenüber der Finanzverwaltung geltend machen, wenn die Ansprüche noch nicht verjährt waren (BFH, Urteil vom 5.2.2020, BStBl II 2020,581). Zur Vermeidung des Untergangs von Pflichtteilansprüchen von Einzelkindern in diesem Fällen und zur Verlängerung der Verjährungsfrist von 3 Jahren wird auf den Aufsatz von Wachter, BB 2020,2135,2141ff. (sehr lesenswert) verwiesen.

Steuerfrei bleibt der Erwerb von lebenden Kindern, Stiefkindern und Kinder der verstorbenen Kinder bis zur Höhe von EUR jeweils 400.000,00 (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Für jedes Enkelkind stehen Freibeträge in Höhe von EUR 200.000,00 zur Verfügung (§ 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG).

1.2.

Strategien zur Vermeidung von Pflichtteilsansprüchen der Abkömmlinge gegen den überlebenden Ehegatten

Sollen nach dem ersten Erbfall Pflichtteilsansprüche der Kinder der Eheleute vermieden werden, stehen den Erblassern u.a. folgende Instrumente zur Verfügung:

  • Pflichtteilsverzichte der Kinder
  • Pflichtteilsstrafklauseln und
  • Supervermächtnisse

1.2.1

Pflichtteilsverzicht

Die Ehegatten können mit ihren Abkömmlingen jeweils einen Pflichtteilsverzicht nach dem Tod des Ehegatten vereinbaren, der zuerst verstirbt Ein Pflichtteilsverzicht gem. § 2346 Abs. 2 BGB verhindert das Entstehen von Pflichtteilsansprüchen jeder Art, ohne das Erbrecht der Abkömmlinge zu tangieren. Der Pflichtteilsverzicht eines Abkömmlings erstreckt sich über den Wortlaut des § 2349 BGB hinaus auf seine Abkömmlinge, sofern der Verzichtsvertrag nicht etwas anderes bestimmt. Der Pflichtteilsverzichtsvertrag ist notariell zu beurkunden (§ 2348 BGB analog).
Verweigern Abkömmlinge einen Pflichtteilsverzicht, kommen andere Strategien zur Vermeidung von Pflichtteilsansprüchen nach dem Ableben eines Ehegatten in Betracht

1.2.2

Pflichtteilsstrafklauseln

Pflichtteilsstrafklauseln drohen dem Abkömmling, der nach dem Ableben des erstverstorbenen Ehegatten seinen Pflichtteil fordert, Sanktionen an, z.B., dass der betreffende Abkömmling dann auch nach dem Ableben des überlebenden Ehegatten nur den Pflichtteil bekommt. Eine solche Pflichtteilsstrafklausel könnte wie folgt lauten:

„Verlangt ein Abkömmling nach dem Ableben des erstverstorbenen Ehegatten gegen den Willen des überlebenden Ehegatten den Pflichtteil und wird der Pflichtteilsanspruch erfüllt, so sind er und seine Abkömmlinge von der Erbfolge nach dem längerlebenden Ehegatten ausgeschlossen. Der überlebende Ehegatte ist berechtigt, über den Erbteil des enterbten Schlusserben in beliebiger Weise von Todes wegen zu Gunsten anderer Abkömmlinge der Erblasser zu verfügen“ (automatische Pflichtteilsstrafklausel).

 

Diese Pflichtteilsstrafklausel hat den Nachteil, dass sich der Pflichtteilsanspruch der Abkömmlinge u.U. nach dem Ableben des überlebenden Ehegatten erhöht, weil sich die Vermögen beider Ehegatten vereinigt haben und der Pflichtteil aus der Summe beider Nachlässe der Ehegatten berechnet wird. Diesem Nachteil kann erbrechtlich wie folgt abgeholfen werden, wenn Abkömmlinge nach dem Tod des erstverstorbenen Elternteil ihren Pflichtteil ernsthaft verlangen und bekommen haben:

die Eltern setzen für diesen Fall in ihrem gemeinsamen Testament vorsorglich den Abkömmlingen, die beim ersten Erbfall keinen Pflichtteil verlangt haben, z.B. ein Vermächtnis des erstverstorbenen Elternteils aus, das erst nach dem Tod des überlebenden Ehegatten fällig wird.  Urform von solchen erweiterten Pflichtteilsstrafklauseln ist die sogenannte „Jastrow’sche Strafklausel“, die von dem Erfinder „Jastrow“ aus dem Jahre 1904 stammt. Jastrow hat vorgeschlagen, dass die Schlusserben, die beim ersten Erbfall keinen Pflichtteil verlangt haben, Vermächtnissen erhalten, die aber erst nach dem zweiten Erbfall fällig werden z,B. Geldbeträge in Höhe des Wertes der gesetzlichen Erbteile der Abkömmlinge nach den vorverstorbenen Ehegatten. Diese Vermächtnisse sind zivilrechtlich Nachlassverbindlichkeiten, die den Nachlass des überlebenden Ehegatten mindern und so beim zweiten Erbfall zu einer Minderung der Pflichtteile der Abkömmlinge führen, die beim ersten Erbfall ihren Pflichtteil verlangt haben.

Diese Vermächtnisse sind aber steuerrechtlich ungünstig, weil die Verschiebung der Fälligkeit der Vermächtnisse auf den Tod des überlebenden Ehegatten die steuerlichen Rechtsfolgen verändern.

Normalerweise kann der Erbe (vorliegend der überlebende Ehegatte) Vermächtnisse des Erblassers steuerlich von dem Nachlass des Erblassers abziehen (§ 10, Abs. 5, Nr. 2 ErbStG); die Fälligkeit des Vermächtnisses ist grundsätzlich keine Voraussetzung für den Abzug der Nachlassverbindlichkeit und die Schlusserben können ihre Freibeträge geltend machen.

Spaßverderber ist jedoch § 6 Abs. 4 ErbStG. Dieser bestimmt u.a., dass Vermächtnisse, die beim Tod des Beschwerten fällig sind, Nacherbschaften gleichstehen. § 6 regelt die Besteuerung von Vor- und Nacherben. Steuerrechtlich bedeutet dies im Fall der Vermächtnisse vom erstverstobenen Ehegatten zu Gunsten der Schlusserben folgendes:

  • Steuerrechtlich liegt kein Erwerb des Vermächtnisses vom Erblasser vor, sondern von dem überlebenden Ehegatten als dem mit dem Vermächtnis „Beschwerten“,
  • Der überlebende Ehegatte kann das  von ihm (fiktiv) selbst angeordnetem Vermächtnis nicht von Todes wegen steuermindernd abziehen; die Bestimmung von § 10 Abs.5, Nr. 2 ErbStG (….“als Nachlassverbindlichkeiten sind abzugsfähig …Verbindlichkeiten aus Vermächtnissen,…“)wird von der Regelung des § 6 Abs. 4 ErbStG verdrängt, der überlebende Ehegatte hat somit das/die Vermächtnisse zu versteuern (anders die Erbschaftsteuerrichtlinien: R E 6 “…beim Tod des überlebenden Ehegatten ist jedoch eine Erblasserschuld nach § 10 Abs. 5, Nr. 1 ErbStG abzugsfähig…“, nämlich „ …die vom Erblasser herrührenden Schulden…  „ ).
  • Die Vermächtnisnehmer (Schlusserben) können ihre Freibeträge nach dem erstverstorbenen Elternteil vorerst nicht nutzen.

Fazit: Die Bestimmung in einem gemeinsamen Ehegattentestament, die Fälligkeit der Vermächtnisse der Schlusserben auf den Tod des überlebenden Ehegatten zu verschieben ist problematisch und nicht zu empfehlen. Der Wortlaut des § 6 ErbStG ist schwer zugänglich und lässt viele Fragen offen. Eine rechtsichere Anwendung von § 6 ErbStG ist nicht möglich und die Planungssicherheit ist gering (Wachter, Seminarunterlage Vermögensnachfolge 2023, Aktuelle Entwicklungen, Münchner Anwaltsverein, März 2023, S.191).

Die Nachteile der Jastrowschen Pflichtteilstrafklausel können durch ein „Supervermächtnis“ vermieden werden. Der Nachteil, dass zwei Erbfälle versteuert werden müssen, kann auch das Supervermächtnis nicht verhindern.

Neben der automatischen Pflichtteilstrafklauseln gibt es noch weitere Formen der Strafklauseln, z.B. solche, die keine Automatik enthalten, sondern die verhängten Sanktionen in das Ermessen des überlebenden Ehegatten stellen.

 
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